Föhrenbergkreis Finanzwirtschaft

Unkonventionelle Lösungen für eine zukunftsfähige Gesellschaft

Koalitionsverhandlungen: Macht es für Europa!

Posted by hkarner - 14. Januar 2018

Date: 13-01-2018
Source: Die Zeit

Es wird spannend, wenn auf Druck Deutschlands das Solidaritätsprinzip mit der Vergabe von EU-Haushaltsmitteln verknüpft wird. Drei Gründe, warum daraus was werden kann.

Wissen Sie noch, was Sie letzten Sommer getan haben? Genauer: Am Wochenende, als der Herbst begann? Noch genauer: Am Sonntag, den 24. September 2017? Ganze fünfzehn Wochen und sechs Tage liegt dieser Tag mittlerweile zurück. Es war ein Tag mit Regentropfen und Sonnenschein, aber keiner wie jeder andere. Denn als Bürger durften Sie an diesem Tag mitbestimmen, was mit diesem Land und der Europäischen Union geschieht.

Damals fand die Bundestagswahl statt. Und heute, mehr als ein Vierteljahr später, gibt es endlich eine Antwort auf die Frage, was das Wahlresultat bedeutet. Kurz gesagt: Was die EU angeht, ist da wieder Hoffnung. Fügt man die Ergebnisse der Sondierungsgespräche als bislang fehlendes Puzzlestück in das Bild einer zukünftigen Europäischen Union, passt vieles zusammen. Deutschlands neue Pläne in der Europapolitik ergänzen die Vorhaben, die aus Brüssel und Frankreich bekannt sind. Die wahrscheinliche neue große Koalition bekennt sich nicht nur zu Europa, sie will es mitgestalten.

Wenn Martin Schulz nicht an der SPD-Basis scheitert, wenn also aus kompromissbereiten Sondierern Koalitionäre werden, wird Deutschland die EU bald nachhaltig prägen. Nach Monaten der Ungewissheit ist das ein Grund zum Durchatmen. Einige globale Herausforderungen brauchen europäische Antworten. Die Planer der möglichen großen Koalition haben das erkannt. Deutschland wird so wieder handlungsfähig. Und damit auch die EU.

„Ein neuer Aufbruch für Europa“ lautet die Überschrift im beschlossenen Sondierungspapier. Die EU steht darin an erster Stelle – noch vor Energie-, Finanz-, und Einwanderungspolitik. Auch vor dem Themenkomplex der Digitalisierung. Diese Reihenfolge ist symbolisch und richtig. Sie zeigt dazu, was eine neue deutsche Regierung parteiübergreifend verbinden kann.

Fakt ist, dass sich auch in Deutschland europafeindliches Denken entwickelt. Diesem „immobilen Konservatismus“ (Bruno Le Maire), den auch die AfD verbreitet, begegnet man bestenfalls mit einem gemeinschaftlich wiederentdeckten europäischen Ziel. Union und SPD listen deshalb mehr als zwei Dutzend Punkte auf, auf die sie sich für die EU-Ebene geeinigt haben. Für ein Sondierungspapier, was nur die Richtung und noch keine Details eines möglichen neuen Koalitionsvertrages vorgeben soll, ist das immens.

Europa soll aus-, nicht zurückgebaut werden. Dafür können sich die beiden größten deutschen Parteien gemeinsam einen neuen Haushalt für Investitionen in der Eurozone vorstellen. Sogar einen Rahmen für Mindestlohnregeln auf EU-Ebene erwähnt die mögliche große Koalition. Der europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll zu einem rechtlich verbindlichen Europäischen Währungsfonds umgebaut werden, der parlamentarisch kontrolliert wird.

Insgesamt soll das Prinzip der Solidarität gestärkt werden und auch für den EU-Haushalt gelten. So steht es fast wortwörtlich im Ergebnispapier. Der Bezug auf den EU-Haushalt bedeutet eine klare Ansage an Politiker wie Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orbán, die mächtigen Männer in Polen und Ungarn, die genau mit dieser Solidarität seit Jahren spielen. Stichwort: Flüchtlingsverteilung.

Das kann was werden
Es wird spannend in Europa, wenn auf Druck Deutschlands das wechselseitige Prinzip der Solidarität mit der Vergabe von EU-Haushaltsmittel verknüpft wird. Geld gegen Einhaltung europäischer Grundwerte, das wäre ein neuer Schritt für die EU. Nötig erscheint er, wenn Europa in den nächsten Jahren nicht seine Glaubwürdigkeit verlieren will. Wie angespannt die Lage ist, signalisiert Angela Merkel nach fast 24 Stunden Dauerverhandeln über den Sondierungskompromiss. Dieser sei „nicht irgend so ein oberflächliches Papier“, sagt die Kanzlerin in ihrer eigenen trockenen Art. Horst Seehofer sieht im Kompromiss „die richtige Antwort auf den 24. September 2017“. Und Martin Schulz verspricht: „Wir meinen es ernst.“

Gut möglich, dass aus den Plänen der drei Parteichefs tatsächlich europäische Realpolitik erwächst. Denn erstens ist das Geld dafür da. Wenn Deutschland weiter von der EU profitieren will, ist es gerade jetzt in seinem Interesse, diese EU zu reformieren. Wer, wenn nicht Deutschland, kann sich die dafür nötigen Investitionen leisten? Wie kein anderes Land profitiert die Exportnation Deutschland Jahr für Jahr von Europa – die EU-Staaten sind seine wichtigsten Handelspartner.
Zweitens steht die Mehrheit der Bürger grundsätzlich hinter den Plänen für mehr Europa. 64 Prozent der Bevölkerung befürworten einer aktuellen Studie zufolge mehr europäische Integration, um die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern.

Und drittens weiß Emmanuel Macron noch genau, was er vor fünfzehn Wochen und sechs Tagen getan hat. Der französische Präsident hat den ganzen Abend lang auf den Wahlausgang in Deutschland geschaut. Weil er die deutsche Regierung für seine Pläne zum Umbau der EU braucht.

Nun ist die Antwort aus Deutschland da. Sie weckt nach der langen Zeit des Wartens und den Erfahrungen mit der Vorgängerregierung keine neue Euphorie mehr. Aber im Willen für eine europäische Zusammenarbeit deutet sie in die richtige Richtung. Oder um in abgewandelter Form einen ganz anderen, deutschen Politiker zu zitieren: Es ist viel besser, mit diesem Sondierungsergebnis zu regieren, als gar nicht zu regieren.

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